Brechreiz

Brech|reiz, der: Gefühl, brechen zu müssen
 

Papa Inc.


Unfehlbar schick: der Vize-Gott als RotkäppchenDeutschland, nun freue dich: Nach der Fußball-WM, deren Abtrag nach vorsichtigen Schätzungen noch unsere Kindeskinder zahlen werden, also ein weiteres "Mega-Event". Der Papst kommt nach Bayern. Da die Bedeutung eines Großereignisses vom sachkundigen Beobachter vor allem am Ausmaß der Vorbereitungen, der Größe und Machtbefugnisse des Organisationskomitees und der Penetranz der medialen Berichterstattung bemessen wird, gilt es auch hier zu klotzen: Ganze Stadtviertel werden abgesperrt, Meinungs- und Redefreiheit vorübergehend ausgesetzt, Abfangjäger und AWACS-Aufklärer sorgen für den himmlischen Beistand, Scharfschützen runden das Gesamtbild ab. Der alte Mann auf dem betonierten Flugplatz, dem der neckische Wind die Stola ins Gesicht weht, während bayerische Politiker ihm ihre Ehrerbietung bezeugen und handverlesene Gläubige im Hintergrund "Be-ne-de-tto" skandieren, muss schon etwas ganz Besonderes sein. Dabei kann er nicht einmal gut Fußball spielen. Aber er ist eine Marke, weit wertvoller als Nike und McDonald's.

Wenn sich der päpstliche Autokorso in Bewegung setzt, ist die wichtigste Frage längst geklärt: Welcher deutsche Autohersteller darf den Rücksitz seiner gepanzerten Luxuslimousine mit dem leibhaftigen Stellvertreter Gottes auf Erden schmücken? Zäh wurde gerungen, schließlich wollten Audi und BMW den Platzhirsch Mercedes, der seit 1930 das Papamobil stellt, auf heimischem Boden ausstechen: Eine Flotte von A8-Limousinen ziert nun den päpstlichen Fuhrpark, allein es war vergebens, BMW konterte mit Demut. Neben der Schenkung der Karossen erklärte man sich bereit, die Sperrung der Autobahn A3, die auch die Produktion im nahe gelegene BMW-Werk Regensburg lahmlegt, freudig hinzunehmen. Nun muss der erhoffte Imagegewinn durch drei geteilt werden.

Dem Zufall wurde bei der Inszenierung des Papstbesuchs ohnehin nichts überlassen: Monate vorher bereiste Erzbischof Piero Marini, der Zeremonienmeister des Papstes, die Örtlichkeiten, die Benedikt XVI. mit seiner Anwesenheit beehren soll. Auch hier bange Fragen: Warum bekam Marktl am Inn, der verschlafene Geburtsort Seiner Heiligkeit, nur ein Zeitfenster von 15 Minuten zugewiesen? Waren es die plumpen Vereinnahmungsversuche um "Papst-Torte" und "Papst-Bier", die dem scheuen Dogmatiker missfielen? Der Papst-Teddy wurde schließlich auch erfreut zur Kenntnis genommen - allerdings bemühte sich der Hersteller mit Belegexemplar und untertänigsten Grüßen um Autorisierung.

Auch auf der weiteren Route ist alles autorisiert, abgesegnet und vermessen, damit Josef Ratzinger seine weiß-blaue Heimat so zu sehen bekommt, wie er sie liebt: barock und katholisch. Die vom Münchner Polizeipräsidenten eilfertig verkündete "sehr niedrige Eingreifschwelle" gegenüber Anders-Bayern ist da nur konsequent, Tausende von Polizisten werden dem Papst das verleihen, was seiner Kirche dem Gesetz nach in Deutschland versagt ist: weltliche Macht. Die Rechtfertigung für die Kosten, die der Steuerzahler zu tragen hat - allein die Sicherheitsvorkehrungen werden etwa 50 Millionen Euro verschlingen -, klingt seltsam bekannt: "Der Papstbesuch bringt das Land weiter", frohlocken die Experten im Bayerischen Rundfunk, dem Hofberichterstatter des Vatikans, der zu diesem Jubeltage auch den letzten Schein von weltanschaulicher Neutralität abgelegt hat.

Jeder Meter zurückgelegten Weges im Papamobil wird zum Erlebnis, nie wurden Autokorsos und ferne Ansammlungen von Kostümträgern so sehnsüchtig beklatscht und fotografiert. Ein Null-Ereignis wird zum Event: Der Papst kommt bald, der Papst kommt, der Papst ist da, der Papst ist weg, der Papst war da. Und das sechs Tage lang. Es ist die Stunde der Vatikan-Dramaturgen, die auf einen Erfahrungsschatz zurückgreifen können, der selbst gestandene PR-Profis vor Neid erblassen lässt.

Natürlich musste man sich zähneknirschend dem Diktum der Erlebnisgesellschaft, "Gib mir leicht konsumierbares Glück, und das sofort!", beugen, der letztjährige Weltjugendtag legte beredtes Zeugnis von diesem Paradigmenwechsel ab und sollte mit seinem Happening-Charakter vor allem die desinteressierte Jugend anlocken. An der Basis dagegen soll sich nichts ändern: Intoleranz und Überheblichkeit werden weiterhin die feste Burg des Vatikans sein, Traktätchen über Eros und Agape müssen als Beweis von Nächstenliebe herhalten. Kardinal Friedrich Wetter sieht dies eher pragmatisch: "Warum sollen wir nicht ein gutes Event auf die Beine stellen, wenn es die Menschen stärkt und ihnen zeigt, dass sie in ihrem Glauben nicht allein sind?"

Das Event "Papstbesuch" wird sehr gut sein müssen. Im Gegensatz zum Weltjugendtag kann man den erlebnisverwöhnten Besuchern keine Stände zum Jonglieren und Fingerfarbenmalen bieten, alles Erlebnispotential muss auf den alten Mann in Weiß, der langsam und milde lächelnd den durch Bayern gelegten roten Teppich entlangschreitet, konzentriert werden: Die Person Josef Ratzinger bekommt heiligenhafte Züge. Zwar wird die Bodenständigkeit des 79jährigen Asketen betont, doch die Botschaft kommt an: Vier bis fünf schwangere Frauen äußerten den Wunsch, während der Messe auf dem Islinger Feld in Regensburg ihre Kinder zu gebären. Der Vatikan hat das Erlebnispotential der Heiligenverehrung wiederentdeckt.

Nichts wird die Imagekampagne dieses unscheinbaren Superstars beeinträchtigen. Josef Ratzinger, Stellvertreter Christi auf Erden, wird so noch bis Donnerstag aus Autos steigen, über rote Teppiche laufen, vorbei an genehmigten Würstchen- und Souvenirständen, bejubelt von scharfschützenbeäugten Gläubigen, bewundert und begleitet von servilen Volksvertretern in die Tempel der Macht, die seine milliardenschwere Organisation seit über 1000 Jahren aus den Erträgen von Furcht und Angst erbaut. Manch einer mag angesichts des Treibens im Tempel die Wiederkunft des Messias herbeisehnen. Zeremonienmeister Marini hat auch daran gedacht: Die Scharfschützen wurden angewiesen, nach langhaarigen Sandalenträgern mit verklärtem Blick Ausschau zu halten.


Links:

Das große Geschäft mit dem Papst
Interview mit Kardinal Friedrich Wetter zum Papstbesuch
Papstmesse wird zum Kreißsaal





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