Brechreiz

Brech|reiz, der: Gefühl, brechen zu müssen
 

Kurz gebrochen (I): Weltmacht


Mit einem Worte: wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der SonneModerne Propaganda-Meme kommen daher wie integrierte Schaltkreise. Vorbei die Zeiten plumper Parolen - heute wird vermutet, analysiert, belächelnd verworfen, was aufgeworfen werden soll. Die Wertung ist irrelevant (oft ist es gar klüger, die gegnerische Position prominent zu platzieren, um Reaktanz hervor zu rufen und sich demonstrativ gegen den besorgniserregenden Trend zu stellen, den man mit fabrizierten Umfragen freilich selbst anfeuert), was zählt, ist, den Begriff im gewünschten Kontext eingeführt zu haben, auf dass sich jeder daran abarbeite:

"Deutschland Weltmacht?"Reminiszenzen an vergangen geglaubte Tage verfolgender Unschuld, garstige Dissonanz zwischen Paris Hilton, "The Future of Coitus" und oettingerfrauliebendem Porsche-Manager? Schauen wir genauer hin, der rastlose Redaktor winkt uns schon an den Leuchttisch, in der Hand eine Lupe, ein geflüstertes "mehr ..." kitzelt in den Nackenhaaren, während wir uns staunend vornüber beugen: Da! - die Bildpunkte verschwimmen, eine Miniaturlandschaft dämmert auf, in der kleine Männchen, emsige Meinungsforscher, grau behütet mit langen Schritten staubige Straßen entlang hasten, auf dem Weg zum Sammelpunkt, wo ihre Kollegen bereits aufgeregt diskutieren, sich über lange Zahlenkolonnen beugend: "Was sagt das Ausland?" - "Absolut lächerlich!" - "Also erstarkendes Nationalbewusstsein?" - "Das soll der Chef entscheiden."

"Erschreckend, nicht?", kommentiert der Redaktor leicht schmunzelnd den verwirrten Gesichtsausdruck, als wir blinzelnd vom Tisch zurücktreten. "Und das" - hier legt er freundschaftlich eine Hand auf unsere Schulter, während er mit der anderen vage Leuchttisch, Schreibmaschine und Telefon umzirkelt - "müssen wir täglich bewerten. Vielen ist die Tragweite unserer Arbeit nicht bewusst. Wie einfach wäre es gewesen, aus diesen Umfrageergebnissen voreilige Schlüsse zu ziehen! In einem Fall wie diesem lassen wir die Deutung offen. Der Leser muss die Fakten begutachten. Zahlen und Statistiken, verstehen Sie? Weltmacht? Lächerlich, na klar, aber die Umfrage müssen wir bringen, allein der Vollständigkeit halber. Vielleicht lässt sich daran ja eine öffentliche Debatte anknüpfen, gerade um dieser verzerrten Wahrnehmung entgegen zu treten. Sie sehen, wir sind uns unserer Verantwortung durchaus bewusst. Und nun entschuldigen Sie mich bitte: Jodie Fosters öffentliche Liebeserklärung erfordert ein Essay - wie leicht könnte das jemand in den falschen Hals bekommen!"





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